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Als ich am 22. Juli 2003 abends nach Hause kam, klingelte bald darauf das Telefon - es war Marc, unser LugBE-Vize. Seine Stimme klang ernst und irgendwie sehr weit weg. "Hast du's gelesen?", fragte er nur, und noch bevor ich fragen konnte, was, sagte er: "Der Mathias ist tot." "Wer? UNSER Mathias?!" "Hmm." "Das kann nicht sein."
Und doch war es so. Nach einigen Telefonaten kam schließlich von Mathias Mutter die Besätigung für die via Mail an die LugBE-Mailingliste geschickte Todesmeldung: Am 18. Juli 2003 hatte Mathias Gygax - für viele "turrican", für einige "Gigi" - seinem Leben ein Ende gesetzt. Er war 24 Jahre alt. Das obige Gespräch wiederholte sich an diesem Abend noch oft - mit vertauschten Rollen. Erst rief ich an und wurde zum Überbringer der traurigen Nachricht, dann wieder wurde ich angerufen - und jedes Mal wieder fiel es mir schwer, das, was ich hörte und doch schon wusste, zu glauben. Es muss uns allen gleich gegangen sein an jenem Abend: Keiner konnte es glauben, dass der Mathias, unser Mathias, nicht mehr da war. Denn er war in unserer jungen, kleinen Gemeinschaft eine herausragende Persönlichkeit. Seine Vorträge, die er im Rahmen unserer Off-Events hielt, waren und sind legendär. Jeder wusste, wenn ein Vortrag von Mathias auf dem Programm stand, würde es ein besonderer Vortrag werden. Ich erinnere mich noch an den ersten, den Vortrag über das Linux Intrusion Detection System LIDS. Der Saal war zum ersten Mal bei einem Off-Event sehr gut gefüllt, und wir als Organisatoren waren mächtig stolz und gespannt, ob die Erwartungen so vieler interessierter Fachleute wie Laien erfüllen können würden. Denn wer noch fehlte, als alle schon gespannt auf ihren Stühlen saßen, war unser Vortragender Mathias. Der meldete sich dann eine halbe Stunde später telefonisch und versprach, daß er seinen Perl ppresenter in spätestens einer Stunde so weit haben würde, dass er die vorbereiteten Folien auch anzeigen würde. Nun, aus der Stunde wurden zwei, doch als Mathias dann kam, waren alle Zweifel wie weggewischt - Er hatte sein Script zum Laufen gebracht, und seine Freude übertrug sich wie ein zündender Funke auf die Zuhörer. Und der Vortrag selbst ließ die Wartezeit sofort vergessen. Von Kapitel zu Kapitel, zwischen (nicht nur kompetenten) Fragen und (dennoch) offensichtlich freudig gegebenen Antworten demonstrierte Mathias ein Wissen und ein Verständnis für die abstraktesten, komplexesten Zusammenhänge von Linux-Kernel und Sicherheitsmodellen, dass so manchem gestandenen Sysadmin die Spucke wegblieb. Und das ganze vorgetragen in einer lockeren, humorvollen Art, aus der bei jedem Satz die Begeisterung und Freude an "seinem" Thema aufblitzten. Es war wohl einer der ungewöhlichsten Vorträge bei der LugBE und auch derjenige, der vielen als Höhepunkt in unserer Vortragsreihe in Erinnerung blieb. Er hat später noch viele Vorträge gehalten, und viele hat er durch sein Wissen, mit Zwischenfragen, mit Zwischenbemerkungen, bereichert. Doch in diesem, seinem ersten Vortrag bei uns, hat sich schon viel von dem gezeigt, was ihn für uns zu der besonderen Persönlichkeit machen sollte, die er war: Zum einen war da sein enormes Wissen in Sachen Linux, von dem keiner ermessen kann, wie weit es wirklich ging. Immer wieder überraschte er uns mit Knowhow und Tipps aus Bereichen, in denen man ihn nicht erwartet hätte. Vom Samba- bis zum XServer, über Multimedia-Formate bis zu Sicherheitsfragen hatte man immer einen kompetenten Ansprechpartner in ihm. Und wenn eine Anfrage an die Supportliste kam, war Mathias meist der erste, oft der einzige, der dem Hilfesuchenden Rat und Antworten bieten konnte. Und hier zeigte sich eine zweite seiner hervorragenden Eigenschaften: seine Hilfsbereitschaft. Soviel er an Wissen aufnahm und in Büchern oder den einsamen Weiten des Internet sammelte, soviel gab er auch an uns, die wir weniger von der Sache verstanden, weiter. Und doch hat er sich - bei Informatikern nicht selbstverständlich - seine menschlichen Qualitäten bewahrt. Bei all seiner beeindruckenden Erfahrung ist er doch nie in den Fehler so vieler Spezialisten verfallen, die, die weniger wussten als er, deswegen gering zu achten. Im Gegenteil: So hartnäckig und unnachgiebig er in Fachdiskussionen mit seinem Gegenüber sein konnte, so geduldig und fast herzlich war er, wenn es darum ging, einem Anfänger den Einstieg in die Linux-Welt zu erleichtern. Eine Eigenschaft, die - wie gesagt - nicht sehr weit verbreitet ist. Aber für ihn schien es natürlich zu sein, das, was ihn interessierte, mit andern zu teilen und so gelang es ihm auch immer, andere für seine Themen zu begeistern. Ich weiß nicht mehr, wie viele Aktionen, wie viele Projekte, wie viele angeregte Diskussionen ihren Ausgangspunkt in einer Idee von Mathias hatten. Nicht nur, dass er schon bei der "ersten" Gründung der LugBE 1999 dabeigewesen war und die Domain "lugbe.ch" ins Leben gerufen hatte, auch nach dem zweiten Anlauf 2001 war er ein ständiger Impulsgeber für neue Ideen innerhalb und außerhalb des Clubs. So geht etwa das Alpen-Event, bei dem sich im Sommer immer einige Linux-Begeisterte in einer Berghütte treffen, auf seine Initiative zurück; er war Mitbegründer von Wilhelm Tux, der Kampagne für Freie Software in der Schweiz, und zuletzt auch ihr Web-Verantwortlicher. Dort zeigte sich auch sein ausgesprochen politisches Bewusstsein, das auch in vielen Diskussionsbeiträgen zu anderen Themen immer wieder das Wort ergriff: Er hatte verstanden, dass die Freiheit - auch die in der Software-Welt - nicht von ungefähr kommt, sondern dass es immer und immer wieder Menschen braucht, die bereit sind, dafür einzustehen; dass es nicht reicht, die Vorzüge der Freiheit zu preisen, sondern man auch wachsam sein muss und sie verteidigen, wo sie in Gefahr ist (und Gefahren gibt es bekanntlich mehr als genug ...); dass es nicht genügt die Ernte einzufahren, sondern dass man immer wieder neue Samen für eine menschlichere, freiere Welt legen muss. Das GPG Web of Trust, das in der LugBE im Entstehen ist, geht auf Mathias Initiative zurück, er hat sich erfolgreich für einen öffentlich zugänglichen FTP-Server engagiert, war an der Initialisierung des Supporter-Netzwerks beteiligt, die Lost+Found-Sektion unserer Webpage stammt zu guten Teilen von ihm ... schier unermüdlich war sein Einsatz für unsere Gemeinschaft und für die Ideen hinter Linux, und immer stand der Gedanke der Offenheit, der Freiheit im Vordergrund. Wie oft hat er seinen Einspruch angemeldet, wenn ihm etwas zu exklusiv, zu geheimbündlerisch zu werden drohte. Wie oft hat er auch uns vom Vorstand in die Pflicht genommen, wenn er eine Möglichkeit sah, offener zu werden und eine Grenze abzubauen. Ich kann nur hoffen, dass wir seinem Anspruch auch in Zukunft genügen werden. Ich glaube aber, dass Mathias sich wohl gefühlt hat bei der LugBE, dass es ihm Freude gemacht hat, zu sehen, wie eine Idee, die er schon lange gehabt hatte, mit Leben gefüllt wurde. Wie viele lange, intensive Gespräche in der Gruppe, die zu später Stunde dann noch auf der Straße, in der nächsten Beiz oder bei dem einen oder andern zu Hause fortgesetzt wurden - und dabei ging es dann nicht mehr nur um Computer. Manche mögen etwas geahnt haben, wenige wussten wirklich von den Problemen und Sorgen, die ihn bedrückten, und von seinen wiederholten Behandlungen und Aufenthalten in der Psychiatrie. Er war akzeptiert als der, der er war, und keiner wäre auf die Idee gekommen, in seinem gelegentlichen Abtauchen von der Bildfläche mehr zu sehen als den Ausdruck eines rastlosen Geistes, der sich selbst und andere bis an die Grenzen fordert. Die LugBE wird in jedem Fall nie mehr die sein, die sie mit Mathias war. Ich weiß nicht mehr, wer und in welchem Telefonat dieses Abends es war, der sich getraute, den Rechenschritt vom Tag von Mathias Tod zurück zu machen: Am Abend zuvor, am 17. Juli, hatte es einen Vortrag über Kryptografie bei der LugBE gegeben, und der aktivste und interessierteste unter den Zuhörern war Mathias gewesen. Doch er ging früh nach Hause an diesem Abend, nicht jedoch ohne vorher noch neue Pläne für die Homepage von Wilhelm Tux besprochen zu haben. Ich kann mich täuschen, aber ich meinte, er sei etwas unruhiger gewesen an dem Abend, unruhig und unendlich müde. Aber das war andrerseites nicht außergewöhnlich, er, der oft ganze Nächte am Computer verbrachte, erschien uns oft bis an die Grenzen erschöpft - heute ahnen wir, dass es wohl nicht nur die Müdigkeit war. Wie sollen wir sein Andenken bewahren, wie eines Freundes gedenken, der immer mehr zu geben bereit war, als er bekam? Wir möchten einen Fixpunkt in der LugBE setzen, der mit seinem Namen verbunden bleibt und an ihn erinnert. Uns scheint das Alpen-Event ein guter Anlass zu sein, denn schließlich war es Mathias, der mit seiner Idee von einem internationalen LUG-Treffen in den Schweizer Bergen den Anstoss zu einer Reihe von Diskussionen gab, aus denen sich schließlich das jährliche Treffen von LugBE-Mitgliedern und -Freunden in einer Berghütte ergab, das wir derzeit als Alpen-Event kennen. Auch war er unter den zehn Unentwegten, die bei der ersten Ausgabe mit dabei waren, und auch diesmal hatte er wieder seine Teilnahme angemeldet. Ab diesem Jahr, 2003, werden diese Tage "turrican days" heißen, und immer wenn wir jetzt, seiner Idee folgend, in die Berge ziehen, werden wir uns an einen großzügigen, offenen Menschen erinnern, der uns mit seinem Wissen, seiner Bescheidenheit und seinem Engagement jedesmal aufs neue beeindruckte und bewegte. Der Name "Turrican", mit dem er vor allem im Internet bekannt war, stammt übrigens von einem frühen Amiga/C64-Computerspiel, das Mathias früher gespielt hat. lugbe/mw
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